Wird ein Mensch nach seinem Tod verbrannt, dann zerfällt er nicht zu feinem Staub. Er hinterlässt große Knochenfragmente und kleine Splitter. Der Anblick gleicht einem geleerten Staubsaugerbeutel. Nichts erinnert mehr an die Muskeln, Sehnen und Nerven, die den Körper einst trugen. An die Nächte voller Wachstumsschmerzen, bis er seine endgültige Körpergröße erreicht hatte. An die Schlaflieder seiner Mutter und die Urlaube in Italien. An die vielen Stunden im Hörsaal der Universität.
Umgeben von Akten haben sich Beamte mit der Frage beschäftigt, wie hoch die Temperatur einer Hauptbrennkammer sein muss. Mindestens 650 Grad Celcius, nach VDI-Richtlinie 3891. Die Verordnung über Anlagen zur Feuerbestattung (27. BImSchV) schreibt für die Nach- und Außenbrennkammer 850 Grad Celcius vor. Davon weiß er nichts, wird es auch nie erfahren, als der Krematoriums-Mitarbeiter mit einer Schaufel die Überreste in ein Gefäß füllt. In wenigen Tagen werden sie umhüllt von einer Urne, in etwa einem Meter Tiefe, die ewige Ruhe finden.
Der Organist verspielt sich und es war war eine schöne Trauerfeier, zumindest würde man sich das kurze Zeit später gegenseitig versichern. Schön dich auch mal wieder zu sehen. Wie geht es dir? Die ist ja echt alt geworden. Hast du ihn gesehen? Unmöglich angezogen.
Priester und Pfarrer wissen nie, wann man einen Gottesdienst beenden sollte. Sie ignorieren gekonnt das unruhige Umherwandern der Blicke. Man mustert den Stuck an der Decke, zählt die Anzahl der Säulen, schätzt das Alter der Holzschnitzfiguren. Man ist ja nicht dumm, hat sich extra etwas wärmer als nötig angezogen. Dennoch durchzieht einen nach wenigen Minuten diese stechende Kälte, die es nur in Kirchen gibt, und versucht, durch die Schuhe hindurch, die Zehen etwas zu lockern. Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes, Amen. Man steht auf. Setzt sich wieder hin. Noch ein Vater unser. Noch ein Psalm. Noch eine Strophe. Noch ein zitiertes Evangelikum. Hustgeräusche schallen durch die hohen Decken.
Händeschütteln, Beleidsbekundungen und die verzweifelte Suche nach etwas Kleingeld, um eines der Trauerbilder zu kaufen. Scheisse, denke ich, alles zu Hause gelassen. Nur große Scheine. Wie viel ist mir Trauer wert? Jedenfalls nicht zwanzig oder fünfzig Euro, so viel steht fest. „Hier, da hast bissl was“, sagt sie und streckt mir ihre Hand hin, lässt einige Münzen in die meine gleiten. Siebzig Cent, ein Geschenk des Himmels. Ich bedanke mich, lasse das Geld in das Körbchen fallen und nehme mir eines der Bilder. Sammelkarten für das Sterbealbum.
Wir versammeln uns vor der Kirche, die Blicke auf den Boden gerichtet. Auf einem kleinen Gefährt wird die Urne wie ein Zirkustier in der Manege an uns vorbei geführt. Es ist so still, dass man das Rascheln der Blätter hören kann. Krähen steigen auf, als die Sonne durch die Wolken bricht. Ein Lichtstrahl schiebt sich sanft über das Grab. Noch einmal Weihwasser, noch einmal Händeschütteln, ein letztes Mal lebe wohl.