Frühling

Auf einen heißen Sommer folgte ein viel zu milder Winter und die Vögel flogen nie in den Süden sondern blieben in den Bäumen und gewöhnen sich nun an die Wärme der ersten abendlichen Sonnenstrahlen, die die Stadt in ein wohliges Licht tauchen. Das Geräusch von Absätzen auf Kopfsteinpflaster und der Geruch glühender Grillkohle vermischen sich zu einer Symphonie des Frühlings. Natürlich bedeutet das alles nichts. Das selbstgefällige Violett der Krokusse, die ersten grünen Knospen an den Eichen und die jämmerlichen Paarungsversuche der Spatzen. All das hatte keine Bedeutung. Frühling. Eine Zeit der Überbrückung für Unentschlossene. Dutzende Bibliotheken würde er anzünden, nur um Mörikes unerträgliches Vermächtnis ein für alle mal zu beerdigen.

Als die Sonne hinter dem Horizont der Gebäude verschwand, leerte er die Flasche und warf sie in einem hohen Bogen in den Innenhof. Sie zerschellte klirrend am Boden. Sakralbauten für das Proletariat. Die Messe ist vorbei, meine Kinder. Aus der Entfernung konnte er den Umzugswagen noch für einen Augenblick sehen, ehe er hinter der Kreuzung verschwand. Malte und Lisa haben ein Haus gebaut, natürlich haben sie das, das wusste er bereits, als er sie ihm vorstellte. Eine Frau zum Häuserbauen. Er half ihnen seit dem frühen Morgen. Sie hatte Brote geschmiert, einen Kasten Bier gekauft – sogar die Pizza wurde pünktlich um kurz vor fünf bestellt.

„Kann das weg?“, fragte sie mit der Kiste voller Fotos in der Hand. Malte nickte ihr zu und reagierte auf seinen entsetzten Blick nur mit einem Achselzucken.
„Willst du die wirklich alle wegschmeißen?“, fragte er.
„Brauch ich doch nicht mehr, die meisten hab ich eh digital. Glaub ich.“

Gelebt bis Anfang zwanzig und seitdem erzählt man sich von Früher. Von damals, von weißt du noch. Von ach wie schön das war. Von den einem Abend am See, von den Drogen und dem großen Streit. Von der einen da. Von, na du musst dich doch erinnern können, von ja jetzt weiß ichs wieder. Man erzählt sich von dem aus der Schule. Ja doch, der ist gestorben. Unfall, Mordfall, irgendein Fall wird das schon gewesen sein – wirklich tragisch. Von der Beerdigung, bei der man nicht gewesen ist. Von den Eltern, die man danach nie anrief, obwohl man es sich geschworen hatte. Von der Zeit, die so schnell verging, dass einem ganz schwindelig davon wurde. Von Hotels, Flughäfen und Reisekostenabrechnungen. Von keine Sorge, es war gutartig. Von sie ist schwanger und von es ist ein Junge. Von Grillabenden und von ich glaube, sie hat etwas dagegen, wenn ihr immer so derbe redet. Von es ist ja vielleicht auch besser so. Von bekannten Neuanfängen und von vertrauten Geheimratsecken.