Graben

Zwanzig Meter tief, und ich habe Probleme, dich in dem kleinen Loch zu sehen, dass du gräbst. Der Erdhaufen scheint doppelt so hoch zu sein, weil du nunmal nicht nur in die Tiefe, sondern auch in die Breite gräbst. Irgendwann stößt du auf Gold oder Öl oder ein Mammutskelett, rufe ich dir hinunter. Bisher nur Hühnerknochen und zwei Blindgänger, antwortest du. Oder drei, so genau kann man das ja nie sagen. Die Sonne geht unter, und ich lasse dir neue Kerzen und Streichhölzer in dem kleinen Zinneimer hinab. Wichtig ist, dass man nicht nachgibt. Was, frage ich. Na mit dem Graben. Und für einen kurzen Moment bin ich beruhigt, weil es nicht die Wände sind, die du meinst.

Der erste Spatenstich, der erste Haufen Erde, der war nicht von dir, dass weiß ich, weil ich damals neben dir stand. Auf einmal war da ein kleines Loch, nicht mal einer Pfütze wert. Gestern sei das noch nicht dagewesen, wie seltsam, sagst du, auch wenn ein Loch im Garten eigentlich nichts seltsames ist, höchstens verwunderlich, und da vieles Gestern noch nicht hier war, was heute da ist – ich zum Beispiel. Mit Zeige- und Mittelfinger stocherst du in der Erde und fragst dich, warum wohl jemand angefangen hat, mitten auf deiner Streuobstwiese ein Loch zu graben.

Als ich dich nach wenigen Tagen wieder sah, konnte ich dich nur noch ab dem Kinn aufwärts sehen. Aber ich stellte dir keine Fragen, das tat ich nie und leerte stattdessen den Eimer aus, den du mir entgegen hieltst.  Eine Woche später wusste noch immer niemand etwas davon. Weder Marie, noch deine Mutter. Niemand außer mir und dem großen Haufen Erde, der sicherlich auch etwas anderes vorhatte. Erde sein, Wiese sein – irgendetwas sein. Es fiel nicht auf, weil du nach acht Stunden über die Leiterkonstruktion wieder hinaussteigst und Feierabend machst. 

Einer der morschen Stützpfeiler, den du aus einem alten Gartenbeet gebaut hast, zerbricht. Was, wenn da unten nichts ist, frage ich dich. Was, wenn ich nie gegraben hätte, sagst du.