Es ist nicht fair, einen Sommer „Rekordsommer“ zu nennen. Dahinter steckt keine Goldmedaille, keine persönliche Leistung, kein wahrer Triumph. Es gab kein jahrelanges Training. Keinen schlecht gelaunten und ketterauchenden Coach, der den Sommer demütigte, wenn er nur durchschnittlich oder schlimmstenfalls regenreich war. Die Begrifflichkeit beschreibt nur einen Zustand, deren Wirkung sich meiner entzieht. Ein Bach erhält auch keinen Orden, wenn das Chemiewerk am Ufer verbotenerweise sein Abwasser hinein leitet. Niemand hält die toten Fische stolz in die Kamera der Lokalreporter, kein Bürgermeister verkündigt feierlich die Studie des Wasserwirtschaftsamts. Rekorde sind für die reserviert, die sie auch wirklich brechen oder aufstellen wollen. Für Menschen, die sich sorgfältig über Monate vor ihrem Spiegel Wäscheklammern in ihr Gesicht heften. Für Menschen, deren Geräusch bei dem Biss in einen Apfel die Dezibelzahl eines Presslufthammers übersteigen. Aber nicht für den Sommer. Die heutigen Sommer schaffen, dass der Mond zu einer neuen Sonne wird. Seien wir ehrlich. Sein Licht ist ohnehin angenehmer. Meine Augen brauchen einen Moment bis ich seine Flächen sehen kann. Viel reduzierter und ästhetischer als die Erde es jemals sein könnte. Schönheit, abgebildet in einer Hand voll Schattierungen. Sie hätten damals Poeten und Philosophen hinauf schicken sollen. Vielleicht würden dann ja heute Rekorde von denen aufgestellt werden, die sie auch wirklich verdient hätten.
Rekordsommer
Juli 31.2020